SMARTE STRATEGIEN FÜR BIENEN, BESTÄUBENDE INSEKTEN UND DIE BIODIVERSITÄT
So wie der Eisbär das Symbol des Klimawandels ist, so ist die Biene das Symbol des Insektensterbens und des gravierenden Rückgangs der Biodiversität, den wir allerorts erleben, schreibt Michael Slaby. Unternehmen verfügen über wertvolle Hebel, um den transformativen Wandel voranzubringen, der auf verschiedenen Ebenen nötig ist, um den Treibern des Bienen- und Insektensterbens mit klugen Lösungen zu begegnen, so der Vorstand des neuen B.A.U.M.-Mitglieds Mellifera e.V.
Deutschlandweit gibt es ca. 560 verschiedene Bienenarten.
Die bekannteste Vertreterin der großen Familie der Bienen ist sicherlich die
Honigbiene, die sich durch verschiedene Eigenschaften von ihren "wilden
Schwestern" abhebt. Sie ist ein jahrtausendealter Begleiter der Menschheit
und Quelle von Nahrung und Heilung. Sie bildet aber auch als einzige unserer
bestäubenden Insekten riesige Staaten und besticht durch ihre Effizienz sowie
ihr synergistisches Zusammenwirken als Superorganismus. Viele
Organisationsforscher sehen Bienenvölker daher als Vorbilder für eine agile
Organisationsstruktur, horizontale Kommunikation, systemisches Handeln und
Schwarmintelligenz.
Leider gibt es in Europa quasi keine freilebenden Bienenvölker mehr – die Honigbiene lebt nur noch in der Obhut des Menschen. Da der Imker seine Honigbienen in Zeiten von Blütenarmut füttert und sie auch gegen Krankheiten behandelt, ist sie nicht so stark von den Ursachen des Insektensterbens betroffen wie die Wildbienen, die meist solitär leben und daher eine viel geringere Kapazität haben, auf Umweltveränderungen zu reagieren.
Rund zwei Drittel der Wildbienenarten Deutschlands gelten als gefährdet oder stehen auf der Vorwarnliste. Die Ursachsen sind vielfältig und komplex. Experten sind sich weitgehend einig, dass zentrale Treiber für den Verlust der Insektenvielfalt die Schrumpfung und Degradierung von blühenden Lebensräumen, die Übernutzung von Böden, die mengen- und flächenmäßig hohe Ausbringung von Pestiziden, die allgemeine Umweltverschmutzung und der Klimawandel sind. Viele dieser Faktoren bedingen und verstärken sich gegenseitig.
Smarte und wirksame Lösungsansätze sollten diese Netzkausalität berücksichtigen und insbesondere auf eine Förderung der Wildbienen ausgerichtet sein: Bienenschutz ist vor allem als Schutz der Wildbienen zu verstehen. Was gut für Wildbienen ist, davon profitieren auch die Honigbienen. Vor zu simplen Antworten sei an dieser Stelle gewarnt – Initiativen, die beispielsweise auf eine einseitige Skalierung der Anzahl an Honigbienenvölkern setzen, ohne dabei die Situation der Naturräume zu berücksichtigen, in denen die Bienenvölker aufgestellt werden, können sogar mehr Schaden als Nutzen bringen, da sie in Zeiten der Blütenarmut eine zusätzliche Nahrungskonkurrenz zu den gefährdeten wilden Bestäubern darstellen können. Um etwas mehr Klarheit in die Diskussion zwischen Imker und Naturschützern zu bringen, haben wir einige Thesen zu diesem Thema verfasst.
Im Zuge des medialen Wirbels um die "Krefeld Studie" und des bayerischen Volksbegehrens "Rettet die Bienen" starteten zahlreiche Unternehmen Marketing-Kampagnen im Zeichen der sympathischen Immen. Allerdings werden derartige Kampagnen von Verbrauchern und Naturfreunden immer häufiger kritisch auf ihren tatsächlichen Beitrag zur Lösung des komplexen Ursachengefüges hinterfragt, sodass dafür sogar ein eigener Begriff etabliert wurde: "bee-washing".
Der beste Weg, um solch einen Vorwurf zu vermeiden, ist, wirksamen (Wild-)Bienenschutz und die Förderung der Biodiversität im eigenen Unternehmenshandeln und der eigenen Lieferkette zu etablieren. Dies sollte mit einer umfassenden Analyse beginnen, wo die eigene Lieferkette oder die eigene Produktion die Lebensräume von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen und Co. tangieren.
Experten sind sich weitgehend einig, dass der Rückgang bedeutender Insekten und Feldvogelarten aufgehalten werden kann, wenn ein Spektrum bewährter Biodiversitäts- und Agrarumweltmaßnahmen flächendeckend umgesetzt wird. So identifiziert z.B. der von der Deutschen Bundes Umweltstiftung in Auftrag gegebene AgrarNatur-Ratgeber 30 verschiedene Maßnahmen in der Agrarlandschaft und stellt ihre Eignung für 46 verschiedene Leitarten dar.
Zentrale Maßnahmen sind u.a. die Anlage von mehrjährigen Blühflächen und –streifen, die überwiegend aus Wildpflanzen bestehen sollten, die Schaffung von artenreichen Landschaftsstrukturen wie Säume, Hecken und Bäume sowie die Umwandlung von Intensivgrünland in extensiv genutzte artenreiche Wiesen. Um einer Verinselung vorhandener Habitate vorzubeugen, sollten die Maßnahmen so geplant werden, dass sie bestmöglich zur Vernetzung von Lebensräumen beitragen. Sinnvoll ist es, verschiedene Maßnahmen zu kombinieren, um den bestmöglichen Nutzen für bedrohte Bestäuber zu erzielen, wie z.B. in einer Bienenwall-Kleegras-Wildblumen-Kombination, wie sie von der Rheinischen Kulturlandstiftung empfohlen wird.
Zum quantitativen Maßnahmenumfang ergab eine Befragung von 30 Artenexpert:innen durch das Institut für Agrarbiodiversität (ifab) Mannheim, dass deutschlandweit auf ca. 15 bis 20 % der Agrarflächen hochwertige Biodiversitätsmaßnahmen umgesetzt werden müssen, um das Insektensterben zu stoppen und die Biodiversität zu erhalten. Dabei liegt der Maßnahmenbedarf im Ackerland bei rund 20 % und im Grünland bei 25 % der vorhandenen Flächen. Viele der Maßnahmen können in-crop umgesetzt werden, d.h., auf den Flächen kann mit einem gewissen Minderertrag weiterproduziert werden.
Leider sind aktuell nur sehr wenige Daten vorhanden, die es ermöglichen, nicht nur regional, sondern deutschlandweit den Stand der Umsetzung zu ermitteln. Jedoch ist davon auszugehen, dass wir etwa bei 3 bis 5 % an Landschaftselementen, Pufferstreifen und Ackerbrachen liegen. Der Weg zum nötigen Sollzustand ist also noch weit.
Es ist die Aufgabe unserer Zeit, alte Gräben zu überwinden und breite Allianzen aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammenzubringen, um smarte Lösungen für die Biodiversitätskrise zu implementieren. Wie kann es gelingen, den Schutz der Insekten und den Erhalt elementarer Ökosystemdienstleistungen in Wert zu setzen, sodass der erwähnte Minderertrag ausgeglichen werden kann und es sich für Landwirte rentiert, die beschriebenen Maßnahmen umzusetzen?
Damit beschäftigt sich u.a. das von der Bodensee Stiftung koordinierte EU LIFE Projekt "Insektenfördernde Regionen". Im Projekt werden in sieben Modellregionen in Deutschland Akteure aus der Landwirtschaft, dem Lebensmittelsektor, lokalen Behörden und NGOs vernetzt, um Biodiversitäts-Aktionspläne zu erarbeitet und gemeinschaftlich umzusetzen. Ein wichtiges Ziel ist es, dass durch das Projekt z.B. insektenfreundlich produzierte Produkte entstehen, die zur Finanzierung der Biodiversitätsmaßnahmen beitragen.
Weitere innovative Ansätze bietet das Projekt "Landwirtschaft 5.0", welches von der Hochschule Offenburg koordiniert wird und die Themen Agro-Photovoltaik, Biodiversitätsförderung und Negativemissionen durch den Einsatz von Pflanzenkohle voranbringt.
Das von Mellifera e. V. koordinierte Netzwerk Blühende Landschaft wirkt an den genannten Projekten mit setzt sich seit knapp 20 Jahren dafür ein, dauerhaft gute Lebensbedingungen für alle bestäubenden Insekten zu schaffen. Das Netzwerk vereint Organisationen aus dem Naturschutz, der Imkerei und der Landwirtschaft und ermöglicht einen Wissens- und Erfahrungsaustausch zur Gestaltung einer blühenden Landschaft. Auch Unternehmen sind als Kooperationspartner herzlich willkommen – nur gemeinsam können wir tragfähige Lösungen auf den Weg bringen, die das Potenzial haben, tatsächlich eine Verbesserung der Situation herbeizuführen.
Weitere Informationen zu den Aktivitäten des Netzwerks Blühende Landschaft sind hier zu finden: https://bluehende-landschaft.de/projekte/
Zur vermeintlichen Konkurrenzsituation von Wild- und Honigbienen hat Mellifera e. V. ein differenzierendes Statement herausgebracht, das sowohl imkerliche Perspektiven als auch Naturschutzinteressen zusammenbringt: Klasse statt Masse – auch bei Honigbienen.
Bei Rückfragen können Sie sich direkt an Michael Slaby, Vorstand von Mellifera und Referent für Projektfinanzierung und Firmenkooperationen wenden: michael.slaby@mellifera.de
NACHRICHTEN UNSERER MITGLIEDER